Thema berufliche Teilhabe

Frage

Meine Tochter hatte im Jahre 2007 einen Unfall mit SHT III. Grades. 
Bei meiner Tochter sind erhebliche Fortschritte festzustellen. Eine gerade abgeschlossene Eignungsanalyse in der Reha-Klimik hat ergeben, dass sie einer Berufstätigkeit nachgehen könnte, allerdings aufgrund weiterhin vorhandener kognitiver und leichter körperlicher Einschränkungen nicht ohne Hilfe/Assistenz.
Das Problem ist allerdings, dass sie über keine Ausbildung verfügt. Als der Unfall passierte, war sie 27 Jahre alt und stand vor dem Diplomabschluss BWL. Die mir bekannten Möglichkeiten einer Ausbildung bei neurologischen Erkrankungen beziehen sich auf Jugendliche und junge Erwachsene. 

Meine Frage wäre daher, gibt es Betroffene (im Erwachsenenalter) bzw. betroffene Familien , die mit diesem Thema vertraut sind oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben und an die wir uns wenden könnten?


 

Antwort

Sehr geehrte/r Angehörige/r,
 
zu Ihrer Frage möchte ich gerne aus Sicht eines „Profis“ der beruflichen Reha folgendes sagen (und hoffe, Ihnen damit helfen zu können):
 
Ich gehe davon aus, dass es sich bei der positiv verlaufenen Eignungsanalyse um eine fundierte neuropsychologische Berufseignungs-Diagnostik handelte, die im Optimalfall mit einer tatsächlichen Erprobung (Belastungserprobung) an einem oder mehreren Arbeitsplätzen einher gegangen ist. Es bliebe jetzt unter Umständen (je nach Berufswunsch Ihrer Tochter) noch eine arbeitsmedizinische Untersuchung offen. Diese würde unter anderem die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit prüfen/ bestätigen. Beides gemeinsam sollte eine Belastungsfähigkeit von mind. 4 Std. tgl. ergeben – das ist auch für einen evtl. Kostenträger wichtig, denn die Agentur für Arbeit/ Rentenversicherung würden für die Kosten nur dann aufkommen, wenn Ihre Tochter mind. 4 Std. tgl. einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen kann. Anders sieht das bei dem Kostenträger Berufsgenossenschaft oder Unfallversicherung aus: Diese verstehen Ihre Leistung insgesamt unter dem Begriff Teilhabe, und bei erfolgter Anerkennung des Unfalles kommen da auch alle Leistungen „aus einer Hand“.

Zum Thema Arbeitsassistenz allgemein ist mein aktueller Kenntnisstand der Folgende:
 
Für behinderte Menschen mit erheblichem Unterstützungsbedarf ist die Arbeitsassistenz einer von mehreren Bestandteilen des umfassenden Ansatzes zur persönlichen Assistenz bei den Verrichtungen des täglichen Lebens und zur Teilhabe am Arbeitsleben und der Gesellschaft. Auftraggeber der verschiedenen Dienstleistungen zur persönlichen Assistenz ist dabei der behinderte Mensch selbst. Insofern ist die persönliche Assistenz zugleich Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes sowie des Wunsch- und Wahlrechts (§ 9 SGB IX).

Mit der Novellierung des Schwerbehindertenrechtes (Teil 2 SGB IX) wurde ein Rechtsanspruch schwerbehinderter Menschen auf Übernahme der Kosten notwendiger Arbeitsassistenz durch die Integrationsämter eingeführt (§ 102 Abs. 4 SGB IX), und zwar als Teil der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben. Es geht dabei um eine Geldleistung, nicht um eine vom öffentlichen Leistungsträger zu organisierende Sachleistung. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer stellt also entweder die Assistenzkraft selbst ein (Arbeitgebermodell) oder beauftragt einen Anbieter von Assistenzdienstleistungen auf eigene Rechnung mit der Arbeitsassistenz (Auftragsmodell).

Voraussetzung ist, dass es um arbeitsplatzbezogene Unterstützung geht und diese notwendig ist. Als Arbeitnehmer ist der schwerbehinderte Mensch gegenüber seinem eigenen Arbeitgeber verpflichtet, seine Arbeitsleistung persönlich zu erbringen. Wie bereits das Wort „Assistenz“ zeigt, ist Arbeitsassistenz eine Hilfestellung bei der Arbeitsausführung, nicht aber die Erledigung der vom schwerbehinderten Arbeitnehmer zu erbringenden arbeitsvertraglichen Tätigkeit selbst. Es geht dabei um kontinuierliche, regelmäßig und zeitlich nicht nur wenige Minuten täglich anfallende Unterstützung am konkreten Arbeitsplatz. Notwendig ist diese, wenn weder die behinderungsgerechte Arbeitsplatzgestaltung noch eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Assistenz (z. B. durch Arbeitskollegen) ausreichen, um dem schwerbehinderten Menschen die Ausführung der Arbeit in wettbewerbsfähiger Form zu ermöglichen.

Rechtsanspruch: Als Leistung zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben dient die Arbeitsassistenz zum einen dem Ziel, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu erlangen (vgl. § 33 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX). In diesem Fall richtet sich der Rechtsanspruch, zeitlich auf 3 Jahre befristet, gegen den zuständigen Rehabilitationsträger. Die Arbeitsassistenz dient aber auch zur Sicherung bereits bestehender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Der Kostenträger ist in diesem Fall das Integrationsamt (vgl. § 102 Abs. 4 SGB IX).

Auch nach der Eingliederungsphase bleibt vielfach eine Arbeitsassistenz angesichts von Art oder Schwere der Behinderung erforderlich. Dann kommt es nach 3 Jahren zu einem Zuständigkeitswechsel vom Rehabilitationsträger zum Integrationsamt. Um dennoch eine einheitliche Bewilligungs- und Verwaltungspraxis zu gewährleisten, sieht das SGB IX vor (§ 33 Abs. 8 Satz 2), dass die Durchführung der Leistungen zur Arbeitsassistenz von Anfang an durch das Integrationsamt erfolgt; diesem werden die Kosten für die ersten 3 Jahre ab Aufnahme der Beschäftigung vom zunächst zuständigen Rehabilitationsträger erstattet

Geldleistung: Da es bei der Arbeitsassistenz um eine Geldleistung an schwerbehinderte Menschen geht, bietet es sich an, die Form des Persönlichen Budgets zu wählen (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2–3 SGB IX). Die Integrationsämter stellen ein solches Persönliches Budget zur Verfügung. Die Leistungshöhe bemisst sich dabei anhand des durchschnittlichen täglichen Bedarfs an Arbeitsassistenz. Die Kostenübernahme soll – gemäß dem allgemeinen sozialrechtlichen Angemessenheitsgebot – in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem damit erzielten wirtschaftlichen Integrationserfolg stehen, d. h. zu dem sozialversicherungspflichtigen Einkommen, das der schwerbehinderte Mensch selbst erzielt.

In der Praxis werden Leistungen zur Arbeitsassistenz auch zusammen mit Leistungen an Arbeitgeber zur Abdeckung außergewöhnlicher Belastungen erbracht (§ 27 SchwbAV); dies ermöglicht flexible Formen der Arbeitsassistenz, vor allem bei zeitlich zum Teil nicht genau vorher bestimmbarem Assistenzbedarf am Arbeitsplatz. 
 
 
Mit freundlichen Grüßen,
 
im Auftrag
Reha-Aktiv Bersenbrück GmbH
Meike Jürs
-Einrichtungsleiterin-
 
E-mail: juers@hph-bsb.de

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