Schicksal Andreas Seidel (Hirnblutung)

Am 24.August 2002 hatte mein Mann Andreas Seidel (geb. 1966) aus „heiterem Himmel“ massive Kopfschmerzen, die über Stunden nicht besser wurden.
Spätabends fuhren wir dann ins nächstliegende Krankenhaus, in dem eine Hirnblutung diagnostiziert wurde. In der Nacht wurde er noch ins nächste Krankenhaus mit Neurologie verlegt, wo eine Subarachnoidalblutung im Frontalhirn bestätigt wurde.

Die Ärzte verlegten ihn auf eine Neurologische Wachstation, wo er bis zum Montag auf seine Kopf-Operation warten musste, bei der ein Clip das Aneurysma aus dem Blutkreislauf ausschalten sollte. Nach ca. fünf Stunden Operation mit erneuten massiven Blutungen wurde er ins künstliche Koma unter lebensbedrohlichen Komplikationen auf die Intensivstation verlegt. Zwei Tage später trat ein Hirnödem auf, das mit einer beidseitigen Schädel-Platten-Entnahme behandelt wurde. Der Hirndruck blieb jedoch weitere 14 Tage enorm hoch, hinzu kamen Nierenversagen, Lungenentzündung, Schlaganfälle und Kreislaufprobleme.

Doch nach drei Wochen überwand er diese Krisen und er wurde aus dem künstlichen Koma geholt, wobei für uns Angehörige völlig unvorbereitet sein neurologischer Zustand sichtbar wurde. Denn niemand hatte uns auf die möglichen Folgen dieser Hirnschädigungen vorbereitet oder sie erläutert. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass mein Mann sich nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen oder sonst irgendwie mit mir kommunizieren kann. Das war ein sehr harter Schlag und Aufprall in der „neuen Wirklichkeit“, die nur langsam verständlich wurde, indem man selbst aktiv wurde, um sich zu informieren.

Dann wurde mein Mann in eine Frühreha verlegt, in der er ca. sieben Wochen auf einer speziellen neurologischen Frührehabilitations-Station behandelt wurde. Nach weiteren Verschlechterungen mussten wir den Schritt in die Akutklinik zurück gehen, um die Schädelplatten reimplantieren zu lassen, da die Verschlechterung laut Mediziner damit zusammenhängen könnte. Im November 2002, nachdem die beiden handtellergroßen Schädelplatten wieder reimplantiert waren, mussten sie genau zwei Wochen später wieder heraus, da sie sich verschoben und infiziert hatten, durch „Fäkalbakterien“!

Danach kam den Medizinern in den Sinn, dass sie doch noch den Hydrozephalus, der bei sehr vielen Menschen mit neurologischen Schäden auftritt, mit einem Shunt zu therapieren haben und das taten sie dann in der fünften Kopf-Operation innerhalb von fünf Monaten.

Danach bestand ich darauf, meinen Mann nach Hause zu holen und zwar gegen die Empfehlungen der Ärzte, da sie meinten, er müsste unbedingt wieder in eine Rehamaßnahme, um das „größtmögliche übriggebliebene Potenzial aus ihm herauszuholen“.

Doch nach den schlechten Erfahrungen in der ersten Frühreha hatte ich meinem Mann fest versprochen, ihn nach Hause zu holen, sobald es möglich ist. Denn wir hatten nach seinem Aufwachen aus dem Koma sehr schnell einen Kommunikationsweg mit den Augen gefunden: Andreas sagt „Ja“ indem er die Augen fest zudrückt und „Nein“ indem er sie weit aufhält. Diese Kommunikation ist zwar auch nur beschränkt möglich, aber immerhin etwas. Ich merkte immer deutlicher, dass er mich und alle Menschen, die sich auf diese Kommunikationsebene einlassen, wirklich versteht.

Und so kam mein Mann am 20.1.2003 wieder zu uns nach Hause, als Schwerstpflegefall. Zu Anfang pflegte ich ihn mit einem Pflegedienst, die dreimal täglich kamen. Inzwischen kommen sie nur noch dreimal wöchentlich und alles andere mache ich alleine. Ansonsten hat sich dieses neue, vollkommen andere Leben inzwischen eingespielt und wir nehmen jeden Tag als Geschenk!

Mein Mann wird wöchentlich jeweils dreimal von Physiotherapeuten und Ergotherapeuten behandelt und einmal von einer Logopädin. Andreas ist inzwischen soweit stabil, dass wir mit unserem behindertengerechten Auto kleine Ausflüge machen können, zu seinen Eltern und Geschwistern, in die Stadt zum Bummeln u.ä.

Die Pflege eines Wachkomapatienten ist entgegen vieler Warnungen sehr wohl zu Hause möglich, wenn der/die Pflegende sich darüber im Klaren ist, dass das eigene Leben ein völlig anderes sein wird und die Liebe für den Menschen die Grundlage dieser Entscheidung ist.

Viele Verbesserungen in Bezug auf das körperliche Wohlergehen meines Mannes sind Folgen der Kontakte zu anderen Betroffenen, da in solch ungewöhnlichen und allumfassenden Veränderungen, wie sie eine Hirnschädigung mit sich bringt, nur ebenfalls Betroffene wirkliche Fachleute sein können (meines Erachtens!). Denn nur im alltäglichen Zusammenleben mit dem Betroffenen werden Probleme und Besonderheiten wirklich ersichtlich und können aufgrund der Lebenserfahrungen Lösungen erprobt und angewandt werden.

Deswegen kann ich es nur jedem Betroffenen/Angehörigen ans Herz legen sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Der Vorteil überwiegt bei weitem!

Auch ich stehe jederzeit für Rat und Tat zur Seite, soweit es mir möglich ist.

Daniela Büscher, betroffene Ehefrau

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