Schicksal Peter Hoffmann (Vorderwandherzinfarkt)

Im Jahr 2000 gab es Sekunden, die das Leben veränderten!

Es sollte ein schönes Wochenende im Garten zu werden. Die Sonne schien und der Grill war angezündet. Die Familie und die Gäste waren fröhlich gestimmt, als plötzlich mein Mann, Peter Hoffmann, damals gerade 46 Jahre alt, über Unwohlsein klagte und heftig schwitzte. Er legt sich auf das Sofa in der Laube, Sohn Christian und Tochter Susanne telefonierte mit dem Notdienst. Im selben Moment hörte er auf zu atmen, sein Herz schlug nicht mehr. Sofort begannen Christian und ich mit der Herzdruckmassage und der Beatmung bis der Notdienst nach 06.30 min. eintraf. Mein Mann wurde reanimiert. Er lebte, als der Arzt ihn aus der Laube zum Rettungswagen brachte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Mir war noch nicht klar, dass zu diesem Zeitpunkt nichts mehr so sein sollte wie es war.

Im Krankenhaus sagte uns der Arzt: „Er lebt, die nächsten 3 Tage sind sehr kritisch, er hat einen Vorderwandherzinfarkt und er hat einen schweren Hirnschaden durch den Sauerstoffmangel erlitten. Wir haben ihn in ein künstliches Koma gelegt, da er die Schmerzen nicht ertragen könnte. So kann er sich erholen von diesem Infarkt.“

Die 6 Wochen auf der Intensivstation waren die Hölle. Mein Mann wurde beatmet, künstlich ernährt. Viele Schläuche waren zu sehen, eine Flexüle ging in die Halsschlagader und ständig piepte irgendeins dieser Apparate. Oft konnte mir keine konkrete Auskunft gegeben werden. Niemand erklärte mir, was da passierte. Nach und nach fing ich an, konkrete Fragen zu stellen und mir wurde immer bewusster, dass nichts mehr so bleiben wird, wie es war. Nach einer Woche sollte er aus dem künstlichen Koma erwachen, aber nicht passierte. Dann fiel das erste Mal die Diagnose „Wachkoma“. Manchmal öffnete er die Augen und sah mit leerem Blick in den Raum. Er zeigte keine Anzeichen, dass er mich erkennt.

Nach etwa 5 Wochen bemerkte ich, dass die Vitalzeichen sich senkten, wenn ich bei ihm war und mit ihm redete und ihn berührte. Ein Arzt bestätigte, dass dies ein gutes Zeichen sei, leider hat aber die Entwöhnung von der Beatmungsmaschine noch immer nicht geklappt. Zwei Tage später wurde mir von einer anderen Ärztin offenbart, dass mein Mann wohl für immer künstlich beatmet werden muss. Es gäbe Pflegeheime für solche Fälle. Nach 6 Wochen setzte dann doch die Spontanatmung wieder ein und er wurde innerhalb von 3 Tagen in die neurologische Reha-Klinik verlegt.

Nun dachte ich, jetzt wird alles gut. Peter bekam viele Therapien, Ergo-, Logo- und Physiotherapie. Er wurde in den Rollstuhl mobilisiert. Täglich war ich vor Ort und habe zugesehen, mitgemacht und auch so einige Pflegemaßnahmen selbst übernommen.

Nach 3 Monaten Reha mit vielen Hochs und Tiefs wurden wir eines Besseren belehrt. Es ist kein Wunder passiert. Peter war im Wachkoma, kaum ansprechbar, Reaktionen waren nur durch die Veränderungen der Vitalwerte zu erkennen.

Er erkannte mich und unsere Kinder an der Stimme, was uns immer hoffen lies, dass er irgendwann wieder aufwacht.

Die große Frage war nun: „Was kommt jetzt?“ Ich wollte ihn nach Hause holen. Peter ist mein Mann und er gehört zu mir, auch wenn er nun anders ist. Das stand für mich fest. Alle (Ärzte, Pflegepersonal, Familie und Freunde) sagten, das schaffst du nie, die Pflege rund um die Uhr und das noch ganz allein, denn unsere Kinder lernten in Hannover.

Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Altenpflegeheim war er dann zu Hause.

Peter erholte sich bald von den Strapazen der Reha und des Heimaufenthaltes, er wurde ruhiger, ausgeglichener und ganz langsam immer wacher und ansprechbarer. Einige Reaktionen zeigten sich und sein Gesundheitszustand wurde immer stabiler. Die Pflege war und ist auch immer noch sehr anstrengend, aber wir haben uns aufeinander eingespielt, die Handgriffe sind sicher und seine Angst, ihm passiert irgendetwas, konnte genommen werden. Die Kinder kamen jedes 2. Wochenende und unterstützten mich in der Pflege. Übrigens schafften beide einen guten Berufsschulabschluss, denn Hilfe von mir konnten sie leider nicht erhalten.

Nach den ersten schweren Monaten bekam ich finanzielle Unterstützung von meiner Familie, so dass ich ein großes Auto kaufen konnte und es umbauen lassen konnte. So waren wir auf einmal mobil, konnten sogar 3 Wochen später das erste Mal im „neuen Leben“ in den Urlaub an die Ostsee fahren. Das tat uns beiden sehr gut.

Durch diese Mobilität konnte ich auch das 1. Mal das Treffen der Selbsthilfegruppe besuchen. Der Austausch von Erfahrungen tat gut und auch mein Wissen half anderen Betroffenen.

Peter wurde 3 Jahre allein von mir und den Kinder gepflegt. So manches Mal geriet ich an meine Grenzen, körperlich, wenn er z.B. zum wiederholten Mal erbrochen hatte und wieder umgezogen werden musste, oder in der ganzen Nacht gehustet hat und ständig abgesaugt werden musste. An Schlaf war nicht zu denken! Seelisch belastet mich, wenn er krank ist, da man nie weiß, wohin die Krankheit führt. Mein eigenes Leben hatte ich weitgehend aufgegeben, ich funktionierte nur noch.

Es kam die Zeit, dass ich wieder arbeiten gehen wollte und musste. Die finanziellen Mittel waren aufgebraucht. Auf einer Veranstaltung zur Eröffnung des „Europäischen Jahres der Behinderten“ in Magdeburg erfuhr ich von der „Persönlichen Assistenz“ als Arbeitgebermodell. Dies war für mich der Weg, den ich mir für meinen Mann und mich vorstellen konnte. So informierte ich mich und stellte die notwendigen Anträge, um eine Firma gründen zu können, Finanzen vom Sozialamt zu erhalten und Pflegepersonal einstellen zu können. Im November 2003 gründete ich die Firma mit 4 Mitarbeitern, Studenten aus medizinischen oder sozialen Bereichen. Alle wurden ausführlich eingearbeitet, notwendige Handgriffe erlernt, Vorlieben und Abneigungen rübergebracht. Die Pflege und Betreuung von Peter war nun für 12 Stunden am Tag abgesichert. Die Nachtstunden und die Wochenenden übernahm ich dann selbst.

Der Nachteil war, dass wir nun auf das Sozialamt angewiesen waren und so auch auf Sozialhilfeniveau leben.

So konnte ich ab 2004 wieder meiner Arbeit als Erzieherin im Kindergarten nachgehen. Das tat und tut mir sehr gut, denn ich liebe meinen Beruf. Während der Arbeitszeit kann und muss ich allen Kummer und Sorgen von zu Hause vergessen.

Anfangs arbeitete ich noch Volltags, nach 8 Monaten merkte ich, dass ich dieser Belastung so nicht mehr gewachsen war und reduzierte meine Arbeitszeit auf 25 Stunden in der Woche. So ging es erst einmal 3 Jahre. Ich fuhr zu einer Rehhabilitation. Peter war in dieser Zeit in einem Pflegeheim der Phase F in Hannover. So konnten unsere Kinder sich um ihn kümmern.

Während der Reha wurde mir gesagt, wenn ich so weitermache, bleiben mir noch 5 Jahre zu leben. Diese Aussage traf mich hart und belastete mich sehr. Ich musste etwas tut, aber was? Peter weggeben, dass kam für mich noch immer nicht in Frage. So erweiterte ich die Pflege- und Betreuungszeit auch auf das Wochenende und 1mal im Monat auf das komplette Wochenende ( auch Nachts). So konnte ich mich am Wochenende auch erholen und habe die Möglichkeit, am Wochenende mal für mich zu sein und etwas zu unternehmen. Diese Auszeit zu genießen, habe ich nach anfänglichen Schwierigkeiten gelernt.

Die Suche nach geeignetem Personal für Peter gestaltete sich immer schwieriger, so dass ich 2010 meine Firma aufgeben musste.

Nun habe ich einen Intensivpflegedienst beauftragt, ein Team für ihn zusammenzustellen, das ihn zu Hause betreuen kann, denn zu Hause ist nun mal zu Hause. Das Pflegepersonal ist nun für 21,5 Stunden vor Ort. Er wird optimal versorgt.

Peter geht es heute gut. Er fühlt sich wohl in seiner Haut, er kann seine Umwelt wahrnehmen, sich mit Lauten bemerkbar machen und somit sein Befinden deutlich machen. Er wird zwei Mal täglich in den Rollstuhl mobilisiert. Er bekommt täglich Therapien. In unser Familienleben ist er voll integriert.

Wir haben unser neues, nicht immer leichtes Leben angenommen und machen das Beste daraus.

Alle meine Erfahrungen gebe ich gern seit 2007 als Leiterin der Selbsthilfegruppe in Sachsen-Anhalt an andere weiter, organisiere die Treffen mit den verschiedensten Themen zur Schulung mit dem Ziel „Hilfe zur Selbsthilfe“. Zudem engagierte ich mich im SelbstHilfeVerband – FORUM GEHIRN e.V.

Im Februar 2015 wurde ich als Beisitzerin in den Bundesvorstand des SHV – FORUM GEHIRN e.V. gewählt. Ich möchte betroffenen Familien bei der Bewältigung der täglichen Anforderungen beraten, mir die Sorgen anhören und gemeinsam nach möglichen Lösungen suchen.

Angela Hoffmann
Betroffene Ehefrau

 

[posts-by-tag tags = „Schicksale“ exclude_current_post = „true“ number = „10“ ]

 

image_pdfPDFimage_printDrucken