Interview mit Dr. med. Markus Ebke…

…Chefarzt Neurologie der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht, Facharzt für Neurologie, Rehabilitationswesen und Verkehrsmedizin

Aus gegebenen Anlass und in Anlehnung an die Fachtagung vom November 2014 zum Thema „„Neurologische (Früh)Rehabilitation – Voraussetzung der Teilhabe am Leben – für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (MeH)“ führte Lothar Ludwig, Ehrenvorsitzender des SelbstHilfeVerband – FORUM GEHIRN e.V. das Interview.

 

Herr Dr. Ebke, Sie sind seit Jahren in der neurologischen Frührehabilitation tätig. Haben sich die Bedingungen für den neurologischen Patienten in den letzten Jahren verändert. Bekommt jeder seine Chance?

Dr. Markus Ebke, Chefarzt Neurologie der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht Facharzt für Neurologie, Rehabilitationswesen und Verkehrsmedizin

Dr. med. Markus Ebke, Chefarzt Neurologie der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht
Facharzt für Neurologie, Rehabilitationswesen und Verkehrsmedizin

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass Krankenkassen und Gesetzgeber für neurologisch und neurochirurgisch erkrankte Patienten bestmögliche Bedingungen für die neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation Phase B (NNCHFR) schaffen wollen. Ein Ansatz sah vor, die Frührehabilitation ausschließlich von Akutkrankenhäusern durchführen zu lassen. Begründung war unter anderem die medizinische und personelle Ausstattung der Häuser – die im Übrigen von vielen Rehabilitationskliniken ebenfalls vorgehalten wird. Nicht berücksichtigt wurde, dass die Krankenhäuser gar nicht über genügend Betten für Frühreha-Patienten verfügten. Das führte zum heutigen Misstand: Phase-B-Patientinnen und -Patienten werden in NRW nicht ausreichend versorgt. Anstatt diejenigen Rehabilitationskliniken mit der Phase-B-Versorgung zu beauftragen, die dafür alle Voraussetzungen erfüllen, wurden von den Kostenträgern Ausweichlösungen geschaffen, die nicht im Sinne der Betroffenen sind.

Eine solche Ausweichlösung ist die sogenannte Konstrukt C+. Für mich als Mediziner ist diese Behandlungsmaßnahme nicht qualitätsgestützt, da es offiziell keine Kriterien gibt, die diese Phase definieren. Trotzdem wird sie einer hohen Patientenzahl in 5-stelligem Ausmaß verordnet. Ein Grund dafür ist z. B. die Schwierigkeit, für die Patienten einen Platz in der NNCHFR zu finden.

Hier fordern wir als Landesarbeitsgemeinschaft NeuroRehabilitation NRW, dass sich die beteiligten Institutionen zusammensetzen und die Bettenanzahl bedarfsgerecht planen. Das Ziel muss sein, dass alle Patienten, die einen Frühreha-Platz brauchen, ihn auch bekommen.

 
Aufgrund massiver Probleme bei der Versorgung der Patienten in der Frührehabilitation haben der SHV – FORUM GEHIRN und die Dr. Becker Klinikgruppe eine gemeinsame Fachtagung durchgeführt. Die aufgeworfenen Fragen und Probleme wurden gemeinsam mit dem Ministerium usw. diskutiert. Hat sich daraus bereits etwas Konkretes ergeben?
 
 
Das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW (MGEPA) hat die Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen angewiesen, verstärkt regionale Planungskonferenzen einzuberufen und diese ggf. selbst weiterzuführen, wenn die beteiligten Institutionen, einschließlich der Kostenträger, nicht zusammenkommen. Das hat deutlich gemacht, wie grundlegend das Problem NNCHFR in NRW auch für das MGEPA ist.

Systematische Begehungen von Rehaeinrichtungen seitens der Bezirksregierungen haben uns gezeigt, wie wichtig es den Kontrollinstituten im Lande ist, dass Qualitätsstandards eingehalten werden.

Darauf basierend versuchen wir als Betreiber von Rehakliniken, unsere schon seit Jahren gelebten und bestehenden Kooperationen mit den Akutkrankenhäusern zu verschriftlichen. Damit möchten wir ein Signal setzen, dass die Leistungserbringer (Akuthäuser und Rehakliniken) sehr daran interessiert sind, sich gegenseitig zu unterstützen und die Versorgung der NNCHFR-Patienten zu verbessern. Hier sind jedoch Klippen zu umschiffen, die in den Bereichen der Besitzstandwahrung wie des gegenseitigen Misstrauens fallen.

Im Interesse der Patientinnen und Patienten mit schweren Hirnschädigungen, deren Lebensperspektive wie aus dem Nichts umgeworfen wurde und die nach einem neuen Sinn suchen, kann man alle Beteiligten nur sehr herzlich bitten, zusammen zu kommen. Es ist unsere Aufgabe, diese Patienten zu unterstützen und im bestmöglichen Sinn für sie zu sorgen. Wir als LAG NeuroRehabilitation NRW hoffen sehr, dass noch in diesem Jahr Entscheidendes zu dieser Frage bewegt werden kann und schnellstmöglich ausreichend Frühreha-Betten im Lande Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen.

 
Herr Dr. Ebke, können Sie mir sagen, wie Sie die Zukunft der Menschen mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma bei der bedarfsgerechten Versorgung in der neurologischen Frührehabilitation nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) e.V. sehen?
 
 
Die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zur neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen aus dem Jahr 1998 basieren auf dem einvernehmlichen Beschluss der Kostenträger, der Leistungserbringer, der Patientenorganisation sowie des Gesetzgebers im Bund und Land. Alle Beteiligten haben sich auf die Klassifizierung der 6 Phasen der neurologischen Akut und Rehabilitationsbehandlung A – F geeinigt. Demnach werden Patienten der neurologischen Frühreha der Behandlungsphase B zugeordnet.

Dieser Konsens wurde gefunden, da man erkannt hat, wie effizient die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation einem Patienten helfen kann. Daher fordern wir als LAG NeuroRehabilitation NRW, dass dieser Konsens im Interesse der Patientinnen und Patienten endlich eingehalten und gegen die Entwicklung von Mogelpackungen interveniert wird. Das C+-Konstrukt ist eine Missachtung der BAR-Empfehlungen. Hier haben wir auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen und ein Versprechen für zukünftige Generationen einzulösen. Wir wollen nachhaltig am Aufbau und an der Veränderung der Gesellschaft teilnehmen. Den Unglücklichen unter uns, die eine schwere neurologische oder neurochirurgische Erkrankung erleiden, wollen wir im Sinne dieses Sozialkonsenses helfen. Das sollten wir nicht in Frage stellen. Verantwortungsbewusstsein und gegenseitiges Verständnis für eine verbesserte Versorgung von Menschen mit schwereren und schwersten Schädel-Hirn-Erkrankungen sind unabdingbar.

Dr. Ebke, danke für dieses Gespräch

April 2015


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